In wenigen Augenblicken werden wir auf der Piste 34 in Kittilä, dem Tor zu finnisch Lappland aufsetzen. Die 2500 Meter lange Landebahn liegt jenseits des Polarkreises und ist oft mit Schnee bedeckt. Solche winterlichen Bedingungen stellen eine zusätzliche Herausforderung dar und erfordern spezielle Verfahren.
(Not) Just another day at the office
Rund fünf Stunden zuvor beginnt ein langer Arbeitstag der uns direkt ins Winter Wunderland und zur nördlichsten Destination im Streckennetz führen wird. Ziele wie diese sind eine willkommene Abwechslung in unserem Dienstplan, bieten sie doch nicht nur eine «exotisch-klingende» Destination, sondern auch eine Reihe an spannenden Herausforderungen.
Die Herausforderungen der Arktis
Doch was macht "Winterwetter" so anspruchsvoll? Am offensichtlichsten sind sicherlich die mit Schnee und Eis bedeckten Landebahnen, welche unseren Bremsweg signifikant verlängern. Zudem setzt sich der Niederschlag auf dem Flugzeug nieder. Dies ist besonders kritisch auf der Flügeloberseite, würde Frost oder gar eine Schicht Schnee für eine massiv verschlechterte Aerodynamik sorgen. Weiter beeinflusst die extreme Kälte den Höhenmesser und je näher wir dem magnetischen Nordpol kommen, desto ungenauer wird unser Kompass.
Kontaminierte Landebahn
Der Betrieb von einer kontaminierten Landebahn birgt ähnliche Herausforderungen wie im Strassenverkehr. Raue Winterbedingungen oder starke Niederschläge können die Landebahn kontaminieren und uns Piloten
vor einige Herausforderungen stellen. Unter anderem ist bei kontaminierter Piste oder Rollwegen mit einem erhöhten Bremsweg aufgrund des reduzierten Reibungskoeffizienten bei gleichzeitig verschlechterter Steuerbarkeit
zu rechnen. Im Fliegerjargon bedeutet
«kontaminiert» übrigens, dass die Piste weder trocken noch nass, sondern zum Beispiel mit Schnee, Matsch, Eis oder stehendem
Wasser bedeckt ist. Obschon herausfordernd sind das Starten und Landen von einer bedeckten Landebahn sicher, mitunter da es strengen Vorschriften
unterliegt. Daher werden jede Start- und Landung im Voraus unter Berücksichtigung der herrschenden Bedingungen berechnet. Dies ermöglicht es uns, genau zu wissen, wie lang unser
Landeweg sein wird oder welche Schubwerte wir benötigen, um sicher abzuheben. Es deckt auch das unwahrscheinliche Ereignis eines abgebrochenen Starts ab und stellt sicher, dass ausreichend
Landebahn übrig bleibt, um anzuhalten. Obwohl die Bodenmannschaft stets unermüdlich arbeitet um die Landebahnen möglichst gut zu präparieren, ist
eine vollständige Räumung nicht immer
möglich und kann zu einer vorübergehenden
Schliessungen der Piste oder gar des
Flughafens führen.
Enteisung
Das Fliegen im Winter erfordert oft das Enteisen des Flugzeugs vor dem Start. Eis, Frost oder verbliebener Schnee auf dem Flugzeug verringern den Auftrieb, erhöhen das Gewicht sowie den Luftwiderstand. Daher ist es zwingend notwendig, solche Verunreinigungen vor dem Start zu entfernen. Sobald alle Passagiere an Bord sind, erfolgt normalerweise das Enteisungsverfahren, entweder direkt am Standplatz oder an einem speziellen Enteisungsplatz, je nach lokalen Vorgaben. Ein kleiner Ausblick auf das Bild des nächsten Monats zeigt bereits, dass sich dieses intensiv mit dem Thema Enteisung befassen wird. Weitere Details zu diesem Thema folgen in der baldigen Februarausgabe.
Instrumentenfehler
Das Fliegen in nördlichen Gefilden
beeinflusst auch
unsere Instrumente. So beeinträchtigen kalte
Temperaturen etwa
den Höhenmesser und die Magnetfelder beeinflussen den
Kompass.
Kalte Temperaturen
Der Höhenmesser ist im Wesentlichen ein Messgerät für den Umgebungsdruck. Er misst die umgebende "Luftsäule", die von Natur aus aufgrund variierender Temperaturen schwankt. Da die Temperatur
einen direkten Einfluss auf die Luftdichte hat, beeinflusst sie auch die gemessene Luftsäule. Daher entspricht die angezeigte Höhe nur unter ISA-Standardbedingungen der tatsächlichen Höhe (wahre
Höhe).
"Von warm zu kalt, wirst du nicht alt!"
Da sich Luftmoleküle je nach Temperatur ausdehnen oder zusammenziehen, kann der Höhenmesser bei wärmeren Temperaturen eine niedrigere Höhe anzeigen als tatsächlich vorhanden und umgekehrt bei
kälteren Temperaturen irrtümlicherweise eine höhere Höhe. Letzteres ist besonders kritisch, da es dem Piloten suggeriert, höher zu fliegen, obwohl er tatsächlich tiefer ist. Diese Diskrepanz ist
besonders entscheidend, wenn man in Wolken fliegt und sich ausschliesslich auf Instrumente verlassen muss.
Kompass Fehler
In hohen Breitengraden unterliegt das magnetische Feld starken Veränderungen, die den Kompass beeinflussen. Da die Navigation in modernen Verkehrsflugzeugen hauptsächlich auf GPS basiert, hat der Instrumentenfehler des Kompasses nur eine sekundäre Bedeutung. Doch warum gibt es eigentlich einen Kompassfehler? Die Erklärung liegt im Unterschied zwischen dem magnetischen Nordpol der Erde, der sich irgendwo im Norden von Kanada befindet, und dem geografischen Nordpol. Diese Differenz führt dazu, dass der Kompass einen Fehler namens Variation anzeigt. Dabei handelt es sich um den Winkelunterschied zwischen der vom Kompass gemessenen Richtung (zum magnetischen Nordpol) und der wahren Richtung (geografischer Nordpol). Je weiter man nach Norden kommt, desto grösser ist die Distanz zwischen den «beiden» Nordpols und somit dieser Fehler. Übrigens: Piloten finden die Informationen zur Variation für jede Position auf ihrer Luftfahrtkarte. Sie ist nach Ost oder West benannt, um die Seite des wahren Nordens anzuzeigen, auf der der Kompass-Norden liegt. Zum Beispiel beträgt die Variation auf der Thule Air Base (BGTL) an der nordwestlichen Küste Grönlands fast 42° W. Heutzutage muss die Variation etwa bei der Interpretation von Windangaben berücksichtigt werden.
Willkommen im Winterwunderland
Zurück zum eigentlichen Flug nach KTT. Wir haben gerade den finnischen Luftraum erreicht, und die dichten Wolkenfelder unter uns lichten sich. Während wir also im angenehm warmen Cockpit sitzen, dürfen wir Ausblicke über faszinierend schöne, jedoch sehr karge Landschaft geniessen. Erinnerungen an meine eigenen Ferien hier im hohen Norden kommen hoch, bei denen ich die Schönheit von finnisch Lappland für mich entdecken durfte. Die beinahe unendlichen, tiefgefrorenen Weiten und die surreale Schönheit von schneebedeckten Landschaften, gepaart mit der stillen Ruhe und dem bezaubernden Tanz der Nordlichter, machen für mich den faszinierenden Reiz dieser einzigartigen Region aus.
Die erste Sinkflugfreigabe durch die Flugsicherung holt mich zurück in die Gegenwart und zu den Gedanken an den bevorstehenden, sehr anspruchsvollen Anflug auf die Piste 34. Wenige Minuten später steuert mein Erster Offizier das Flugzeug präzise auf die Landebahn und vollführt eine geschmeidige Landung. Die Bremswirkung erweist sich als gut, und so rollen wir schon nach rund 1500 Metern von der Piste ab. Wie erwartet sind die Rollwege und das Vorfeld schneebedeckt. Entsprechend langsam und mit äusserster Vorsicht steuere ich das Flugzeug zum zugewiesenen Standplatz. Kurz darauf verabschieden wir unsere Gäste mit den besten Wünschen für eine wundervolle Zeit im Winterwunderland, das sie exklusiv mit Kontiki Reisen erleben werden. Mit dem letzten ausgestiegenen Passagier richtet sich unsere Aufmerksamkeit rasch auf die Vorbereitungen für den bevorstehenden Abflug und die Heimreise in die Schweiz.
Über das Bild
Das Januar-Bild in meinem aktuellen Fotokalenders "Willkommen im Winterwunderland" fängt die faszinierende Schönheit dieser unwirklichen Region ein. Das Fliegen zum Polarkreis erfordert tiefgreifendes Wissen über die einzigartigen Herausforderungen solcher Operationen, effektive Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine kontinuierliche Aufdatierung des Flugverlaufs.
Aufgenommen mit einer Canon EOS R5 + Sigma 35mm F1.4 DG HSM Art, ISO100, f/6.3, 1/320 Sek.
Über "Behind the Image"
In meinem Fotokalender "Up in the Sky" gewähre ich faszinierende Einblicke in meinen Alltag als Linienpilot. Diese Blogserie ergänzt den Fotokalender und erzählt die Geschichte hinter dem Moment, in dem das Bild aufgenommen wurde. Zudem bietet sie Hintergrundinformationen darüber, was sich im Cockpit ereignet hat und wie das Bild entstanden ist.
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Josef Suppan (Mittwoch, 03 Januar 2024 22:21)
...ein Blog zum Bild...innovative Idee, mit wunderbaren Fotos und spannenden Texten perfekt umgesetzt. Danke für die Mühe...
Nino Bolis (Mittwoch, 10 Januar 2024 15:38)
Danke für die interessanten Zusatzinfos und die coolen Bilder. Es wäre super, wenn die einzelnen Bilder noch einen erklärenden Zusatztext enthalten würden.
Sales (Donnerstag, 11 Januar 2024 21:53)
Herzlichen Dank für eure Kommentare und auch für deinen Input lieber Nino. Ich werde dies gerne für den FEB-Post berücksichtigen.
Beste Grüsse
Sales